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Die machtsensibilisierte Haltung in der Mediation

Essay: Eine konflikttheoretische Annäherung am Beispiel von Geschlecht als Machtkategorie.

1. Überblick

Dieses Essay zeigt auf, warum die kritische Reflexion der eigenen Wirklichkeitskonstruktion und Reproduktion hegemonialer Machtstrukturen ein entscheidendes Element für die Haltungsentwicklung von Mediator*innen darstellt.

Diese wird, unter Berücksichtigung von Machtungleichheiten, aus einer konflikttheoretischen Perspektive heraus untersucht. Hierfür wird beispielhaft die Machtkategorie des sozialen Geschlechts beleuchtet.

Um die Relevanz für die Mediationspraxis aufzuzeigen, wird die Vorbereitungsphase der Mediator*innen in den Blick genommen und auszugsweise Vorschläge geliefert, welche Maßnahmen bereits im Vorfeld einer Mediation ergriffen werden können, um eine machtsensible Begleitung der Konfliktklärung zu ermöglichen.

2. Geschlecht als Machtkategorie

Erst seit der Reform des Personenstandsgesetzes, das im November 2013 in Kraft getreten ist, ist es in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zwingend notwendig, jeden neu geborenen Menschen – teils mit Unterstützung operativer Mittel[1] – nach der Geburt einer der beiden, binären Geschlechterkategorien zuzuordnen – entweder männlich oder weiblich.

Diese binäre Kategorisierung der Lebenswirklichkeit hat u.a. in jenen Gesellschaften, deren Kulturgut von den abrahamitischen Religionen bestimmt wurde und wird, eine tiefe historische Verankerung. So auch in Deutschland. Bereits in der Schöpfungsgeschichte wird die Aufteilung der Menschheit in Mann und Frau tradiert. Dass Eva der Erzählung nach aus Adam selbst und auf dessen Wunsch entstanden ist, während dieser aus der Erde und Gottes Atem, nach dessen Ebenbild geschaffen wurde, verdeutlicht und legitimiert ein signifikantes Machtgefälle zu Gunsten aller männlich gelesenen[2] Menschen. Die Erzählung über den Sündenfall markiert zudem alles nicht- männliche als irrational und gefühlsgeleitet.

In fast allen Gesellschaften ist Geschlecht eine ausgesprochen bedeutsame Kategorie, die großen Einfluss auf die Identitätsbildung nimmt. Sie bestimmt fundamental, mit welchen gesellschaftlichen Umgebungsbedingungen und Erwartungen ein Mensch in seinem weiteren Leben konfrontiert sein wird.

[1] Mittlerweile ist dies durch das „Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen“ gesetzlich geregelt. Es trat am 22. Mai 2021 in Kraft.

[2] Von außen, ohne Nachfrage über die tatsächliche Verortung, vorgenommene Zuschreibungen einer Geschlechtskategorie.


In Deutschland, obliegt die Deutungshoheit über die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und dessen individuelle Zugänglichkeit seit langer Zeit und zu einem überwiegenden Anteil der Gruppe der männlich gelesenen Menschen. So ist ein androzentristisches System entstanden, das männlich gelesenen Menschen deutlich mehr Privilegien gewährt, als den Angehörigen aller anderen Geschlechterkategorien. Letztere befinden sich, gemäß Jürgen Habermas` Theorie des kommunikativen Handelns (vgl. Habermas, 1981), in einem ständigen bewussten, wie auch unbewussten Konflikt zwischen „System und Lebenswelt“.

Dieser Umstand hat weitreichend negative Auswirkungen auf die Identitätsbildung dieser Personen. Nach der Konflikttheorie der Anerkennungstheorie von Axel Honneth können drei Formen der gewaltförmig zugefügten Missachtung unterschieden werden. Auf deren Grundlage soll ermöglicht werden, Angaben über die affektive Antriebsbasis, also die Gefühlsreaktionen betroffener Menschen machen zu können. Die mildeste der drei Formen, ist der Entzug der Wertschätzung. Bereist hierbei erlebt ein Individuum durch seine soziale Entwertung eine Erosion der persönlichen Selbstschätzung (vgl. Honneth, 1992: S. 214 – 217). Wie tiefgreifend der damit einhergehende Identitätsverlust reichen kann, wird beispielhaft darin sichtbar, dass viele Frauen auch dann von sich selbst in der männlichen Form sprechen, wenn gleichzeitig auch eine weibliche Form zu Verfügung steht.

3. Eine Frage der Haltung

Warum ist es für eine gute mediative Praxis so wichtig, dass Mediator*innen Machtkategorien im Allgemeinen, und in diesem Beispiel speziell den Aspekt der Geschlechtsidentität in der Reflexion der eigenen professionellen Haltung berücksichtigen?

Den systemtheoretischen Grundannahmen von Niklas Luhmann zu Folge, sind Menschen als Systeme zu sehen, deren Innenwelten sich signifikant von der äußeren Umwelt unterscheiden, ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegen und auch nur bedingt, quasi als halboffene Systeme, miteinander in Interaktion treten können (vgl. Messmer, 2013: S. 156).

Nach diesen Kriterien handelt es sich demnach bei einem Mediationsverfahren um ein eigenes Soziales System, in dem wiederum mindestens drei Systeme (Parteien und mediierende Person) aus freien Stücken in Interaktion miteinander treten. Diese Interaktion kann nur mittels Kommunikation erfolgen. Ein Konflikt entsteht nach Luhmann immer dann, wenn es innerhalb dieser Kommunikation zu einem Widerspruch kommt und ist auch nur mittels Kommunikation zu prozessieren und wieder aufzulösen (vgl. ebd: S.158).

Demnach sind Konflikte im Sinne Luhmanns zwischen allen Beteiligten während eines Mediationsverfahrens unvermeidbar.


Diese Annahme wird durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften ebenfalls untermauert. Die neuronale Formbarkeit, durch lebenslang andauernde Auf- und Abbauprozesse im Zuge der nutzungsabhängigen Strukturierung von Verbindungen zwischen den Nervenzellen, ist neben der genetischen Prädisposition dafür verantwortlich, dass kein Gehirn einem zweiten zur Gänze gleichen kann. Dem zu Folge, sind sowohl die Aufnahme und Verarbeitung von Umweltreizen, als auch die daraus resultierenden Schlussfolgerungen hoch spezifisch. Jeder Mensch hat ein eigenes Filter- und Referenzsystem, das sich zu einem großen Anteil im Unter- und Vorbewusstsein verortet (vgl. Hüther, 2017). So verhält es sich auch bei Mediator*innen. Markus Troja schreibt dazu, dass bei der mediierenden Person die Erkenntnis erforderlich sei, dass es sich bei deren eigener Wahrnehmung ebenfalls um eine Beobachtung zweiter Ordnung handele (vgl. Troja, 2017: S.107).

Die Geschlechtsidentität als ein Beispiel, ist ein von Außen fremdbestimmt auferlegter Aspekt der die Lebenswirklichkeit eines jeden Menschen in Deutschland maßgeblich mitgestaltet. Auch die der Mediator*innen. Treffen also verschiedene Systeme mit ihren unterschiedlichen Hirnstrukturen aufeinander und wollen miteinander interagieren, ist es damit unvermeidbar, dass es zu Konflikten zwischen ihnen kommen wird. Das ist ebenso zwischen Mediator*in und allen anderen Teilnehmer*innen des geschlossenen Arbeitsbündnisses der Fall. Deshalb „muss sich der Mediator darüber im Klaren sein, dass auch er durch seine Unterscheidungen seine eigene Konfliktwirklichkeit schafft“[3] (Troja, 2017: S.106).

Auf Grund dieser Faktoren ist die Annahme, eine vermeintlich objektive und neutrale Haltung einnehmen zu können, ein unerfüllbarer Anspruch an sich selbst. Findet darüber keine Reflexion statt, kann das zu fehlerhaften Schlussfolgerungen führen, die den Verlauf der Mediation negativ beeinträchtigen (vgl. Ade/Schroeter, 2016).

Die mediierende Person nimmt eine prozessbegleitende Rolle ein, in der sie den beteiligten Interessen eines Konflikt, im Sinne aller Parteien, gleichermaßen Raum verschaffen soll. Kommt es zu Abweichung bei der jeweiligen Wahrnehmung über die tatsächliche Machtverteilung zwischen den Konfliktparteien, oder bezüglich der eigenen Rolle als Mediator*in, gefährdet dies die angestrebte Allparteilichkeit und damit auch das Vertrauen der Parteien in die mediierende Person. Zudem ist ein etwaig nötiger Machtausgleich, das Erkennen der zugrundeliegenden Interessen, sowie das Einnehmen einer möglichst konfliktarmen Position erschwert, wenn die Mechanismen der jeweiligen Diskriminierungsform nicht in der eigenen Haltung identifiziert, reflektiert und wo nötig dekonstruiert wurden.

[3] Es wird angenommen, dass alle Geschlechter gemeint sind.


Die innere Haltung von Mediator*innen bestimmt ihr Handeln und ist damit das Werkzeug der eigenen mediativen Praxis. Sie bietet Orientierung bei den Fragen, worauf in der Konfliktwahrnehmung und der Mediationsdynamik besonders geachtet werden sollte, und wie sich die eigene Zielsetzung im Handeln gestaltet (ebd.). Zudem ist die einzige Haltung, die im Vorfeld einer Mediation machtkritisch reflektiert werden kann, die der Mediator*innen. Dies ist für eine gute Mediationspraxis sinnvoll, da jeder individuelle Fokus der mediierenden Person „zu Unterschieden [führt], die einen Unterschied machen“ (Troja, 2017: S.107). Geschlechtsidentität und damit verbundene Machtgefälle sind beispielsweise, wie eingangs dargelegt, eine ausgesprochen wirkmächtige Kategorie in der Gesellschaft. Sie spielt sowohl bei verschieden-, als auch gleichgeschlechtlichen Arbeitsbündnissen eine Rolle.

Es wird insgesamt selten vorkommen, dass Machtkategorien im jeweiligen Konflikt nicht entweder explizit oder zumindest implizit eine Rolle spielen. Deshalb ist es einerseits sinnvoll, sich einen guten Kenntnisstand über die verschiedenen Machtkategorien anzueignen, und andererseits die eigenen Annahmen und Verortungen innerhalb dieser Machtgefüge zu erkennen und kritisch zu reflektieren. So kann das Risiko minimiert werden, die Machtasymmetrie zwischen den Konfliktparteien zu bestärken, oder selbst unbeabsichtigt Macht auszuüben.

Eine weiterführende Strategie für die eigene Steuerung kann die Beobachtung dritter Ordnung darstellen. Im Zuge der Inter- oder Supervision „kann sich der Mediator seine Unterscheidungen und damit verbundenen Entscheidungen für einen bestimmten Fokus bewusst machen, also sein Beobachten beobachten“[4] (Troja, 2017: S.107).

4. Praktische Relevanz für die Vorbereitung einer Mediation

Die Vorbereitung einer Mediation ist zeitlich meist zwischen der Kontaktaufnahme/Anbahnung und der Eröffnung des Verfahrens, mit der genauen Auftragsklärung und dem gegenseitigen Kennenlernen, verortet. Auch in dieser Vorbereitung auf einen Mediationsauftrag, kann die Berücksichtigung von Machtasymmetrien einen wichtigen Aspekt darstellen. Es ist sinnvoll bereits im Vorfeld zu überlegen, ob und wenn ja, welche Formen von Macht eine Rolle spielen könnten, und wie gegebe- nenfalls darauf reagiert werden kann.

Im Falle der Geschlechtsidentität und der damit einhergehenden dominanten Machtposition von männlich gelesenen Menschen gegenüber allen anderen – formalrechtlich gleichgestellten – Gesellschaftsmitgliedern, spielt Macht fast immer eine zumindest implizite Rolle. Diesem Umstand kann bereits im Vorfeld auf verschiedenen Wegen Rechnung getragen werden. Im Folgenden werden einige Möglichkeiten auszugsweise dargestellt:

  • Sind Menschen unterschiedlichen Geschlechts an dem Verfahren beteiligt, dann kann über die Sinnhaftigkeit einer CoMediation nachgedacht werden. So wird eine Repräsentanz aller Geschlechter geschaffen, die das Vertrauen der Parteien in die Allparteilichkeit des Mediationsverfahrens stärken kann.
  • Ist der beschriebene Gegenstand des Konflikts auf die Machtasymmetrien der Geschlechter bezogen, können Expert*innen zum Thema konsultiert werden.
  • Eine geschlechtergerechte Sprache kann in Betracht gezogen werden. Sie wird entweder in dem Bemühen genutzt, Geschlecht möglichst nicht abzubilden, oder, wenn doch nötig die Vielfalt der Geschlechter paritätisch darzustellen. So kann signalisiert werden, dass allen Parteien gleich viel Respekt und sprachliche Repräsentanz[5] entgegengebracht wird und eine sensibilisierte Haltung bei der mediierenden Person zu erwarten ist.
  • Die Wahl der eigenen Kleidung und des Sozialverhaltens kann bewusst getroffen werden, um Geschlechterklischees entweder zu bedienen oder zu irritieren.
  • Und viele mehr.

Wichtig zu bemerken ist, dass es sich hierbei immer nur um eine Orientierung und einen losen Plan handeln kann. Im Verlauf der Konfliktklärung kann auch ein Anpassen oder Verwerfen dieser Vorüberlegungen von Nöten sein. In diesem Falle wäre es für einen guten Ablauf der Mediation hinderlich dogmatisch und unflexibel an diesen festzuhalten.

[4] S.o.


5. Ausblick

Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wurde das Diskriminierungsverbot aus dem zweiten Artikel des Grundgesetz auch in Bürgerliches Recht überführt. Die Möglichkeit mangelnde Gleichbehandlung einzuklagen, ist damit erstmals auch jenseits des Adressaten Staat möglich. Diese Neuerung ist für die Mediationslandschaft ebenfalls von großer Relevanz, da Konflikte, die auf Grund von Ungleichbehandlung bestehen, damit sichtbar und (rechtlich) adressierbar gemacht wurden. Um das beispielhaft gewählte Konfliktfeld aufzuheben und dem Artikel 2 des Grundgesetzes entsprechend zusammen zu leben, muss entweder die Kategorie Geschlecht an Bedeutung verlieren, oder ein Zustand hergestellt werden, in dem bestimmten Geschlechtern keine Macht über andere Geschlechter innewohnt. Im Allgemeinen gibt es aber noch zahlreiche weitere Machtkategorien, deren Reflexion für eine gute Praxis notwendig ist. Die Vorstellung von Jürgen Habermas über einen „herrschaftsfreien Diskurs“ bei dem es um die gegenseitige Verständigung basierend auf Freiwilligkeit und Gleichberechtigung gehen soll, kann eine machtsensibilisierte Mediation durchaus mit befördern.

[5] Siehe dazu: Stahlberg/Sczerny (2001).


Literaturverzeichnis

Ade, Juliane/ Schroeter, Kirsten (2016): Ein Balanceakt: Haltung in der Mediation. In: Freitag/ Richter (Hrsg.), Mediation – das Praxisbuch. Denkmodelle, Methoden und Beispiele, S.184-194.

Habermas, Jürgen (1981): Theorie des Kommunikativen Handelns. Bd. 1 und 2, Frankfurt am Main.

Honneth, Axel (1992): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main.

Hüther, Gerald (2017): Neurobiologische Aspekte der Entstehung und Bearbeitung von Konflikten. In: Trenczek/Berning/Lenz/Will (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, 2. Aufl., S.92-98.

Messmer, Heinz (2013): Niklas Luhmanns systemtheoretische Erklärung sozialer Konflikte. In: KonfliktDynamik 2. Jg. Heft 2, S.156-158.

Stahlberg, Dagmar/ Sczerny, Sabine (2001): Effekte des generischen Maskulinums und alternative Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. In: Psychologische Rundschau, 52. Jg. Heft 3, S. 131-140.

Troja, Markus (2017): Konstruktivistische und systemtheoretische Grundlagen systemischer Mediation. In: Trenczek/Berning/Lenz/Will (Hrsg.), Handbuch Mediation und Konfliktmanagement, 2. Aufl., S.99-117.